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03/03/2020An dieser Stelle erwarten viele zu Lesen, dass Schreiben schon immer meine Leidenschaft war; dass nichts meinen Glauben an die schöpferische Kunst der Wortklauberei je hatte erschüttern können, und ich stets voller Selbstüberzeugung mit meinen Werken in die Welt getreten bin, und gesagt habe: Hier bin ich, lest, was man gelesen haben sollte: „Mein Werk!„, um eine kleinlaute Entschuldigung vorzufinden, dass doch ein Ghostwriter verantwortlich war. Weit gefehlt!
Ich muss an dieser Stelle enttäuschen, auch wenn ich meine Leser normalerweise ungerne enttäusche. Es ist wahr, dass ich als junger Mensch das Schreiben für mich entdeckte, und bis in meine Jugendjahre an Schülerzeitungen, lokalen Kunstwett-bewerben und Ausschreibungen mit gemischtem Erfolg beteiligt war. Es ist jedoch genauso wahr, dass die vernichtende Kritik eines Deutschlehrers, dem ich meinen heimlichen und „unvernünftigen“ Wunsch, Schriftstellerin zu werden, anvertraute, so bis ins Mark getroffen hatte, dass ich all meine bisher geschriebenen Dinge in den heimischen Papiermüll stopfte, und nichts mehr davon wissen wollte.
Dachte ich!
Offiziell schrieb ich selbstverständlich nicht mehr – aber in Wahrheit wanderte ich von Wettbewerbsbeiträgen und Novellen zu Forumsbeiträgen und der Leitung von Rollenspielgruppen. Wohlgemerkt inklusive dazugehöriger selbsterfundener und umfangreich beschriebener episch-fantastischer Volks-, Götter- und Monsterfolklore. Also wanderte ich im Grunde lediglich weiter zu neuen Formen und Bereichen, in denen ich mich schriftstellerisch beteiligen und verwirklichen konnte. Aber: Ich war wirklich überzeugt, ich hätte mit dem Schreiben aufgehört – immerhin hatte ich den Traum, Schriftstellerin zu werden, begraben!
Ich hoffe Sie gestatten mir an dieser Stelle ein Schmunzeln über mich selbst, denn ich habe über ein Jahrzehnt benötigt, zu erkennen, wie sehr ich mich selbst verrannt und geirrt hatte. Und was hatte mir die Augen wohl geöffnet? Die lieben Worte eines nahen Angehörigen? Nein. Oder besser gesagt: Indirekt einen Schubs gegeben, ja.
Denn es begab sich, dass ich, wie es jedem Normalsterblichen zuweilen passiert, von einem grippalen Infekt geplagt nach neuem Lesestoff suchte. Ich wusste, es sollte nicht zu gehoben sein, dank des epochalen pochenden Drucks partyfeiernder Abwehrzellen hinter meinen Schläfen. Ich wusste auch, dass ich meiner Neugierde, warum gewisse Bücher es zu Publikumslieblingen und vor allen Dingen in jüngster Zeit auch Filmstoff für AAA-Titel hergaben, eines Tages nachgeben werde müssen; also warum nicht beides kombinieren?
Ich werde an dieser Stelle nicht sagen, um welche Titel es sich handelte, nur so viel sei verraten: Den ersten Band einer Trilogie legte ich beiseite, mit der Erkenntnis, dass mein innig verehrter Deutschlehrer den Stil allerhöchstens mit einer Fünf bewertet hätte; vermutlich hätte er jedoch eine Teilnote „Eins für Rechtschreibung“ vergeben müssen – sicherlich aber nicht ohne einen mit stilechtem Rotstift gegebenem Hinweis, dass die Sätze so kurz, uninspiriert und inhaltlich flach waren, dass es auch schwer gewesen wäre, allzu viele Rechtschreibfehler unterzubringen. Verwundert legte ich den Wälzer beiseite und ging beherzt weiter in die Abteilung Jugendliteratur. Mir schwante schon, dass die Bestseller zu einer Filmreihe, die ich eben so wenig nennen werde, dort auslagen. Gleichwohl ich verraten kann, dass es, glaubte man dem Hype um diese Romanreihe, zu einer für Außenstehende schier tumultartig anmutenden Spaltung aller Fraktionen zwischen 12 und 22 Jahren in Deutschland führte.
Verstehen Sie mich nicht falsch, werter Leser: Zuweilen kann man in der Kinder- und Jugendliteratur neben unterhaltsamen Romanen auch echte Perlen finden, die das Herz jung und die Gedanken frisch halten. Mal ganz davon abgesehen, dass Autoren wie J. K. Rowling, die ihre Protagonisten mitsamt ihrem Zielpublikum reifen lassen bis sie den Erwachsenenstatus erreichen, ja zeigen, dass der Begriff “Jugendliteratur” manchmal schwer in Einklang mit Alterszahlen zu bringen ist, über die Jahre. In diesem Fall stellte ich aber ernüchtert fest, dass all die Pluspunkte, die ich dem ersten Werk, dass ich in den Händen hielt zugerechnet hatte (allen voran, dass der Schreibstil und die Erzählform so gar nicht meines waren), bei dem von mir neu aus dem Regal gezogenem Roman nicht zutrafen. Ich war aber sehr sicher, dass dieser Text, alles in allem, nur mit etwas Glück und guter Laune ein “gerade mal ausreichend” erhalten hätte, obwohl er in meinen Augen sogar ganz interessant und unterhaltsam daher kam. Obendrein, so dachte ich mir, wäre diese vier aber sicher noch mit einem zusätzlichem Minus versehen, falls er nicht noch eine Notenstufe abgerutscht wäre. Schließlich muss ein Schüler wissen, wenn ein Text kaum noch die Kurve bekommt!
Persönlich, muss ich zugeben, entsprach dieser Roman auch nicht völlig meinem Gusto, auch wenn ich ihn nicht furchtbar schlecht nennen konnte. Und so begann ich prompt, meine eigenen Ansprüche zu hinterfragen – schließlich hielt ich Bücher in den Händen, die sich millionenfach verkauft hatten und teilweise Generationen begeisterten. Da aller guten Dinge drei sind bewegte ich mich ein wenig beunruhigt zu meinem dritten Ziel, dass ich auf dem Weg in die Abteilung für Jugendliteratur bereits erspäht hatte. Hoffnungsvoll, weil ich eine gute Rezension des Buches gelesen hatte, klappte ich auch dieses auf; diesmal gleich in der Mitte. Ein Verlag hatte mir einmal den Ratschlag mit auf den Weg gegeben, immer daran zu denken, dass eine möglichst mittige Platzierung in einem Buch immer auf eine gute Qualität des Textes hindeutete, da beim “einmal rein linsen” die Mitte am häufigsten aufgeschlagen werde. Ergo sollte der Anfang des Buches, sowie seine Mitte, besonders gut verfasst sein. Immerhin waren das zwei der wahrscheinlichsten Stellen, die ein potentieller Leser zu Gesicht bekam!
Ich, für meinen Teil, folgte in diesem Fall dem Beispiel. Dazu sei gesagt, dass ich normalerweise sehr bewusst fünf Stellen eines Buches aufschlage, wobei ich Mitte und Anfang zuweilen sogar meide, wenn ich ein paar Seiten überfliege, um festzustellen, ob mir der Stil genug gefällt, um mich Packen zu können. An dieser Stelle spare ich mir weitere Kommentare über das Buch oder nicht genannte Titel, bis auf eines: Es war nicht schlecht, es war aber auch nicht gerade das Niveau, das man von (moderneren) Meilensteinen der Literatur kennt.
Dennoch las ich länger darin, als in den anderen Romanen zuvor. Ich wollte mich vergewissern, dass ich es soeben geschafft hatte, drei Bestseller aus den Verkaufsregalen zu ziehen, nur um mich bei jedem einzelnen zu Fragen, wie es sein kann, dass sie zu diesem Status gekommen waren. Nach ungefähr zehn Seiten zwang ich mich jedoch, das Buch zu schließen, und wieder ins Regal zurück zu stellen. Ich nahm mir einen Moment, um tief durch zu atmen, denn mir war eine Sache schlagartig mehr als bewusst geworden: Diese Bücher verkauften sich, weil Leser Lust hatten, sie zu lesen.
Da konnte ein Deutschlehrer ein noch so schlechtes Urteil fällen und einen davor warnen, dass man sich “blamieren würde, würde das öffentlich ausgestellt werden”; er konnte mit seinem Rotstift den halben Roman durchkorrigieren und an jede Seitennummer des Buches ein (-) anhängen; ja, er konnte sogar erklären, dass jene Autoren nicht einmal genügend Talent besaßen, um mehr als Anzeigen für das lokale Nachrichtenblatt aufzunehmen, und man selbst von dem Beruf des Buchverkäufers abriet, denn auch da sollte man ein Gespür für deutsche Sprache und Texte haben. Es änderte nichts daran: Menschen hatten Spaß daran, diese Bücher zu Lesen.
Nun schrieb ich eingangs, dass die Worte eines nahen Angehörigen mir vielleicht nicht direkt die Augen öffneten, was stimmt. Diese Erkenntnis tat es, was die Fehler, Eigen-arten, Stilrichtungen und vieles andere, die ein Schriftsteller in seine Arbeit einbringt, in ein wesentlich günstigeres Licht stellt, als das Schema von “gut schreiben”, und “schlecht schreiben”, das mir eingeimpft und von mir als Qualitätssiegel verinnerlicht wurde.
Schlagartig wurde mir klar, warum es mich nicht kümmerte, Texte, die als Spiel-rundlagen von hunderten von Menschen über Jahre hinweg herhielten, in die Welt hinaus zu geben, während ich niemals auf die Idee gekommen wäre, eine meiner Kurzgeschichten, meiner Gedichte, oder gar einen Roman zu veröffentlichen. Undenkbar, bei meinem mangelnden Talent und meiner Fehlbarkeit, mich zu blamieren, in dem ich jemanden etwas davon lesen lasse!
Mich von der Belletristik abzuwenden und neuen schriftstellerischen Gebieten nahm den Druck, aus dem Wort, aus dem Werk; denn es musste nicht “gut” sein. Es genügte, wenn die Leute es gerne lesen, und gerne damit arbeiten. Für mich war dies eine monumentale Erkenntnis, über mich selbst, über die Schriftstellerei, über Leser, über das Buchgeschäft, und natürlich nicht zuletzt auch eine nicht allzu freundliche Erkenntnis über meinen Deutschlehrer, von dem ich so furchtbar viel gehalten hatte. All die Jahre des “ich schreibe nicht mehr” wandelten sich in ein: “ich habe nie aufgehört zu schreiben, nur ein anderes Setting gesucht, um mich nicht mehr mit der Frage quälen zu müssen, ob ich gut genug schreibe”.
Also atmete ich noch einmal tief durch, machte mich auf die Pirsch nach meinem Mann (der eine fast noch größere Leseratte ist als ich und im Buchfachhandel das Verhalten eines Chamäleons an sich hat: Er fällt in seiner natürlichen Umgebung einfach nicht auf und verschmilzt mit dieser nahezu…), und meinte, als ich ihn endlich gefunden hatte, mit Bammel im Herzen, als müsse ich eine Untat gestehen: “Schatz, ich glaube ich sollte wieder anfangen zu Schreiben. So richtig.”
Ich sagte eingangs, dass die Worte eines lieben Angehörigen möglicherweise indirekt etwas damit zu tun hatten, dass mir die Augen geöffnet wurden. Offen waren sie, als ich mich an meinen Mann wand, wohl schon, aber um ehrlich zu sein, wusste ich noch nicht so wirklich, wohin mich diese neuen Eindrücke führen sollten.
Mein Mann legte das Buch, dass er sich angesehen hatte, völlig ruhig zurück ins Regal, zog dann die Augenbraue höher und höher während er mir zuhörte, nur um sich mir direkt zuzuwenden, als ich zu Ende gesprochen hatte: “Mehr als bisher?”
Ich antwortete: „Nein – mit richtig meine ich, endlich wieder den Mut haben, etwas zu veröffentlichen.“
In diesem Sinne:
Allen, die sich die Haare ausrupfen mögen, wegen meines persönlichen Stils und kleinerer Fehler, möchte ich versichern: Ich lerne dazu.
Jenen, die befürchten, kahl zu werden, bevor ich dazu gelernt habe, empfehle ich: Wendet euch besser passenden Schriftstellern zu.
Und allen Anderen: Euch wünsche ich so viel Spaß mit meinen Werken, wie es nur irgendwie möglich ist, denn: Ich weiß, ich werde meinerseits eine Menge Freude daran haben, weiter “nicht zu Schreiben”.