Projektvorstellung: Die Farm im Nebel
04/03/2020DFiN – Mimis Morgen
12/03/2020Sein
Atem kondensierte, doch es fiel ihm kaum auf. Die neblige, kalte
Morgenluft hätte man sowieso schneiden können. Dick und schwer, wie ein
Teppich der langsam ausgerollt wurde, war der Nebel über die umliegenden
Hügel und Berge in das Tal gewandert, in dem ihre Farm lag.
Zitternd
zog der Junge seinen Schal enger und lauschte in seine unwirtliche
Umgebung hinein. Es war nicht leicht, etwas zu vernehmen, wenn einem das
Herz bis zum Hals schlug und die eigenen schweren Atemzüge die Stille
der Umgebung zu zerreissen schienen. Ihm jedenfalls kam es unerträglich laut vor, so laut, dass sie ihn eigentlich schon hören mussten.
Sich
überwindend wagte er noch einen Schritt in das Dämmerlicht hinein, das
von umher wabernden Dunstwolken diffus zerstreut wurde. Zu sagen, er
konnte nichts sehen, wäre nicht korrekt gewesen. Zu sagen er konnte weder genau abschätzen, noch einordnen, noch erkennen, was er sah, war zutreffender.
Das war es also, wovor man ihn immer gewarnt hatte:
Geh nicht hinaus, wenn das Licht dich nicht schützt.
Wieder
hielt er zittrig inne und lauschte in die bedrohliche Welt hinaus. Wo
war das Bellen Franks geblieben? Schaudernd erinnerte sich der Junge
daran, wie sich das Kläffen langsam entfernt hatte, und ihn zwang, eine
Entscheidung zu Treffen. Sollte er Frank schnell holen gehen – oder sich
an den Rat der Alten halten, sich im schützenden Licht der Farm
verkriechen, und sich selbst einreden, Frank würde schon wohlbehalten
wiederkehren?
Er
hatte sich für ersteres entschieden. Mutter, Vater, Schwester, Bruder.
Onkel, Tanten, Großmutter und Großvater. Alle hatte er verloren. Jeden
einzelnen Freund, den er jemals hatte; jede einzelne Sache, die er
jemals besaß. Jede Form von früherer Leichtigkeit, die ihn dazu brachte,
morgens aus dem Bett aufzustehen, und zu nölen, weil die Schule zu früh
begann, oder andere Kleinigkeiten ihn störten.
Heute war er glücklich, wenn das Essen für alle langte. Wenn alle gesund waren. Wenn niemand in die große Stadt musste und alle auf der Farm versammelt waren. Wenn die Sonne gnädig war und lang am Himmel stand, um die Aussaat und Ernte zu erleichtern. Und wenn die Ställe bei der allmorgendlichen Inspektion keine Schäden hatten, wenn kein Tier gerissen wurde.
Der
Junge zuckte stark zusammen, als seine Hand gegen einen schon etwas in
die Tage gekommenen, teilweise morschen und moosbewachsenen Zaun
stießen. Er war also auf den hinteren Weiden. Dort wo sie das Vieh schon
länger nicht mehr zum Grasen hinführten, wegen des schlammigen Teiches,
der jenseits des alten Zaunes lag. Wasser lockte sie an; besonders wenn
es brackig war. Und die Bäume, gesäumt mit Gestrüpp, die in der Nähe zu
wuchern begonnen hatten, spendeten dem Teich Schatten. Zu viel
Schatten, als dass die Sonnenstrahlen noch an allen Punkten durch das
Dickicht dringen und den Boden erreichen konnten.
Sein
Atem wurde noch schwerer. Er hatte sich weit von der Farm entfernt, als
er die Orientierung verloren hatte. Von hier aus hatte er aber eine
gute Chance zurück zu finden. Seine etwas zu groß geratenen Gummistiefel
hinterließen profilierte Eindrücke im leicht matschigen Untergrund, als
seine Hand an der aufgerauten Holzlatte entlang rutschte. Die Splitter,
die er sich einfing, schmerzten. Dies war aber allemal besser, als sich
weiter so völlig verloren zu fühlen. Und es lenkte ab, von der bangen
Frage, was dort draußen im Nebel lauerte. Von der Angst, die sein Herz
langsam in eisigen Griff nahm.
Doch nun, da er die Richtung des Zaunverlaufs kannte, musste er die Entscheidung treffen. Und als hätten die Götter dieser trostlosen Welt ihn erhört, schickten sie ein Zeichen; ein heiserer Laut, näher an einem Kläffen, als einem Bellen, aus der Richtung, in die der Zaun ihn führte.
»Frank?« flüsterte der Junge fahl, auch wenn es ihm selbst in der unwirklichen Stille fast wie ein Schrei vorkam, der seine Trommelfelle zum Vibrieren brachte.
»Frank?« versuchte er es noch einmal, doch statt eines Rufes, kam nur ein weiteres halb ersticktes Flüstern heraus. »Komm her Junge, hier bin ich… Frank…«
