DFiN – Nils Gewehr
19/03/2020DFiN – Mimis Arbeitsbeginn
30/04/2020Er zitterte. Weniger wegen der Kälte die durch den dünnen Stoff seines Anoraks kroch, nein, viel mehr wegen der Anspannung, als er in die Welt hinein lauschte, vergeblich auf Antwort von Frank wartend. Nie war ihm in den Sinn gekommen, dass er vielleicht mehr als ein paar Minuten hier draußen sein würde, und dass der Anorak kaum Wärme bot. Schlimmer war jedoch, dass er laut war. Fragte man ihn, sogar unermesslich laut – denn bei jedem Schritt knirschte und knisterte er, ohne dass man es verhindern konnte.
>>Wirf das olle Ding doch endlich weg.<< hörte er Patty sagen, in ihrer rauchigen, tiefen Stimme, die mit dem zunehmenden Alter der Lady auch noch kratziger geworden war. Er hatte Patty wirklich gemocht. Eine rauhe Farmersfrau, die gewöhnt war, zu sagen was sie denkt. Wenn sie wütend auf dich war, so war sie ehrlich wütend. Und wenn sie dich mochte, dann mochte sie dich auf – eine ehrliche Weise. Kein Verstecken, kein Rätseln. Es war einfach wie es ist, und so wie es von einem Tag auf den anderen Veränderungen bei den Pflanzen oder Tieren geben konnte, so war es auch mit ihr. An den guten Tagen wurden ein paar Frischlinge, ein paar Zicken oder ein Kalb geboren – und an den schlechten gingen ein paar der Kohlköpfe ein, die sie hinter dem Haus gepflanzt hatten. Und am schlechtesten war der Tag als Patty nicht von den hinteren Weiden zurückkam.
Er hatte den Anorak nicht weggeworfen. Hatte nicht auf Patty gehört. Er liebte diesen Anorak einfach, weil es das Letzte war, das er von seiner Mutter erhalten hatte. Am Morgen des Tages, der alles veränderte. Wie zufällig über einem Stuhl hängend, als hätte er ihm schon seit Jahren gehört, als er in die Küche einbog, dem Geruch des Frühstücksspeckes und der Eier folgend.
>>Du bist doch schon viel zu groß für ihn und platzt bald raus!<< sprach Pattys rauchige Stimme wieder, doch war es eher ein entferntes Flüstern, dass wie die Kälte über den Boden langsam zu ihm kroch. Kurz zuckte sein Blick umher und versuchte den dichten Nebel zu durchdringen, der sich bedrohlich näher schob. Aber er erkannte nichts, außer einem weiteren Meter Zaun, und hier und da einen Baum, der sich ins Blickfeld schob und nahe an den morschen Latten stand.
Fast hätte er aufgeschrien. Mehr vor Schreck, als vor Schmerz. Der alte, modrige Lattenzaun hatte ihm einen Splitter verpasst, als er sich weiter an diesem entlang getastet hatte. Die Zähne zusammenbeissend wollte der Junge bereits ansetzen die Fingerkuppe zusammen zu drücken, um eine Chance zu haben das widerlich stechende und brennende winzige Hölzchen zu entfernen, doch hielt ihn etwas davon ab.
Es war wieder still, und Pattys tröstende Stimme gab ihm diesmal keinen Rat. Aber er erinnerte sich daran, ein Gespräch der Erwachsenen belauscht zu haben, die darüber diskutierten, ob der Geruch frischen Blutes Sie anlocken konnte.
Sein Atem kondensierte in der Luft, die kühler zu werden schien, statt sich mit der langsam aber unaufhörlich steigenden Sonne zu erwärmen. Nicht, dass er mehr als einen verwaschenen, leicht gelblichen runden Fleck am Himmel hätte ausmachen können im Moment, egal wie oft er es versuchte. Der Nebel schien die Welt zu verschlucken, so wie Sie die Zivilisation verschluckt hatten.
War überhaupt noch jemand dort draußen, oder waren sie die Letzten?
Nichts Besseres mit seinem verletzten Finger anzustellen wissend, schloss der Junge seine Lippen um den Finger, nun seine andere Hand nutzend, sich weiter am Zaun entlang zu tasten.
Er vermied es, Frank noch einmal zu rufen. Vielleicht würde sonst etwas anderes als Patty’s eingebildete Stimme antworten.
