DFiN – 2
26/03/2020Die Schreibtypen: Plotter, Pantser oder Bojenschreiber?
04/05/2020Sie gähnte, als sie ihren schlanken Leib ausführlich streckte. Von “Morgensonne” konnte keine Rede sein. Graubetont und Trist schuf die Dunkelheit dieses wolkenbehangenen Morgens eine gespenstische Atmosphäre, der vom Nebel auch noch die Aura des unnatürlichen Verliehen wurde.
Man konnte jedoch nicht sagen, dass sie deswegen im Moment viele Sorgen plagten. Heute würde sie sich nicht weit vom Farmhaus entfernen. Streifzüge in die umliegenden Felder oder gar Wälder waren an solchen Tagen keine gute Idee, wie sie in jüngeren Tagen leidvoll erfahren musste. Noch heute zwickte sie die lange Narbe an ihrem Schenkel manchmal an regenverhangenen, kühlen Tagen und erinnerte sie daran, wie Sie am Waldrand gelauert hatten.
Es war ihr eine Lehre gewesen, nicht mehr zu leichtsinnig zu sein und das sicherheitsspendende Licht der Farm nicht zu unterschätzen. Oder die Flinten und Gewehre, die dort in sicherer Hand aufbewahrt wurden und jederzeit griffbereit waren, falls sich unangenehmer Besuch ankündigte.
Mittlerweile waren Monate vergangen und es war schon eine ganze Weile her, dass dies der Fall war. Doch jedes einzelne Mal hatte Spuren hinterlassen. Manchmal mehr auf der Seele, als auf dem Körper.
Sie verharrte kurz reglos auf der Veranda, den Blick der eisblauen Augen über das hochstehende Gras und die Gemüsefelder wandern lassend, die zwischen Haus und Scheune lagen. Wenn sie sich heute noch um das Ungeziefer kümmern wollte, konnte sie nicht darum herumkommen, den spärlich beleuchteten Pfad zu nehmen der dort hinüberführte. Behaglich fühlte sie sich nicht unbedingt, aber ihr war bewusst, dass sich das Ungeziefer jederzeit drohte im Viehfutter oder direkt bei den Tierbeständen festzusetzen, sobald man es einmal vernachlässigte. Und es war nun mal ihr Job, genau dies zu tun und sich darum zu kümmern.
Noch einmal ließ sie ihren Blick über die Gemüsebeete und angrenzenden Wiesen schweifen, ehe sie sich ruckartig in Bewegung setzte. Je stärker sie die Deckung des Farmhauses, das wie ein stark beleuchtetes Mahnmal in die Düsternis der Welt hineinragte, verließ, desto schneller wurden ihre Schritte. Erst in ein trabendes Tempo verfallend, dann an Geschwindigkeit zunehmend bis sie fast rannte, schlüpfte sie gerade noch in die Scheune, bevor das große rote Tor mit einem dumpfen Laut zu fiel.
Das Muhen der Kühe und Meckern der Ziegen grüßte trostspendend, klang es doch wenig aufgeregt oder gar panisch. Dennoch blickte sie sich noch einmal Richtung Tor um, von dem eigentümlichen Gefühl verfolgt, jemand oder etwas hätte sie beobachtet.
