
DFiN – Lucis Suche
10/12/2020
Basics: Die Normseite und Summenregelung
20/12/2020»Ich lauf’ zur Scheune rüber, Fico.« bot Audrey an, ihre halbautomatische Waffe nervös etwas umgreifend. Der Gasdrucklader hatte ein ordentliches Gewicht und sie mochte keine Waffen, gleichwohl diese Selbstladeflinte extra für sie neben dem Eingang hing. Die schmächtige Frau hatte nie gewusst, ob sie sich für die seltsame Ehre, eine “Damenwaffe” zu bekommen, bedanken sollte, oder nicht eher veralbert fühlen. Es war der einzige Gasdrucklader auf dem Hof. Eine Funktionsweise, die den anderen Waffen fehlte, dafür aber den Rückstoß verminderte. Georges Witze, sie würde bei einer “richtigen Waffe sicher nach hinten umfliegen”, bekamen so ein ganz anderes Gewicht.
»Du gehst da nicht alleine rüber!« entgegnete ihr Fico ärgerlich, die Hand endlich von der Glocke nehmend, als er in der Ferne eine weitere Silhouette wahrnahm, die aber die Hand hob und diese zweimal nach links, einmal nach rechts schwenkte, ehe sie jene senkte und das Zeichen in umgekehrter Reihenfolge wiederholte. Es war also jemand vom Hof, auch wenn er nicht genau erkennen konnte wer, auf dem Weg zum alten Farmhaus. Fico erwiderte die geheime Kennung, ehe er zu Audrey blickte. »Wir gehen zusammen rüber, Lucy ist ja im Haus.«
»Wir können nicht einfach…«
»Wir können, und wir müssen. Ich glaub Rico ist eh auf dem Weg her, und wenn er dort ist, sind Tinny und Bella bestimmt bei ihm.« Unterbrach er sie rüde und setzte sich schon in Bewegung.
Audrey atmete schwer durch, schloss dann aber schluckend zu ihm auf. Sie wäre viel lieber am Haus geblieben, wohlwissend, dass dies wohl der sicherste Platz am Hof war. Gewalt lag ihr nicht. Schon in ihrem “alten Leben” – also jenem, dass sie führte, bevor vor wenigen Jahren die Strider auftauchten, dass ihr aber jetzt schon so fern vorkam, als läge es fast ein Jahrhundert zurück – hatte sie Gewalt abgeschreckt und sie sich weit von allem und jedem ferngehalten, der damit zu tun hatte. Aber in dieser neuen Welt kam keiner von ihnen mit Pazifismus und dem Ablehnen von Waffen weiter. Weder die Strider noch die Raider interessierten sich für Dinge wie den persönlichen Glauben oder tiefgehende Überzeugungen. Die einen trachteten danach einem das Fleisch von den Knochen zu reißen um es zu Fressen oder die gelähmten Opfer als Brutstätte für ihre nächste Generation zu nutzen. Die anderen trachteten ebenso nach Fleisch. Manchmal im wörtlichen Sinne, wenn sie ausgehungert und verzweifelt keine andere Möglichkeit mehr sahen um zu überleben, und manchmal im übertragenen Sinne, wenn es sich um Männer handelte, die schon lange keine Frau mehr zur Verfügung hatten. Audrey hatte dies alles auf harte Weise lernen müssen, auch wenn sie stets darum bemüht war, die Erinnerungen an die grauenhaften Eindrücke ihrer letzten Tage in der Stadt aus ihren Gedanken zu drängen. Sie selbst hatte Glück im Unglück gehabt und ihren Vater bis zuletzt an ihrer Seite, der es schaffte, zumindest sie sicher aus der Stadt zu befördern. Sein letzter heroischer Akt war wenig rühmlich im Staub vor ein paar Raidern zu knien, immer wieder beteuernd, dass er alleine unterwegs und keine Gefahr war. Nichts, was diese räuberischen Monster interessierte. Sie suchten den kleinen Laden, in dem Audrey und ihr letztes verbliebenes Elternteil Zuflucht gesucht hatten, dennoch ab, aber fanden sie nicht. Ein einziges Mal während dieser Apokalypse war ihre schmächtige Statur kein Nachteil gewesen, als sie sich dort zitternd in einen alten Abluftschacht gezwängt und verharrt hatte, die Lippen auf ihren Arm gepresst, um keinen Laut von sich zu geben. Nicht einmal, als sie ihren Vater erschossen und liegen ließen, als wäre er nichts weiter als Müll, kaum dass sie ihm die Stiefel von den Füßen gezogen hatten.
Sie schloss kurz die Augen, als das Bild wieder vor ihrem inneren Auge aufflackerte, wie eine endlos gefräßige Flamme, die versuchte ihren Verstand in Brand zu setzen.
»Audrey!« Erst Ficos strenge Stimme riss sie aus ihren wirren Gedanken und dem Gefühl aufkeimender Panik wieder heraus, eine seltsame Leere in ihr hinterlassend, die für einen Moment nur Platz bot für den Blick auf die Gewehre der drei Männer, die nun dicht beieinander hinter dem ausladenden Scheunengebäude standen. Waffen. Waffen wie die, die ihren Vater getötet hatten. Waffen wie die, die sie nun bei sich trug.