
DFiN – Widerstand
10/12/2020
DFiN – Audreys Frieden
10/12/2020Lucis Herz raste. Sie war froh, von dem großen Scheunengebäude wegzukommen, dessen wettergegerbte einstmals in sattem Rot strahlende Fassade schon bessere Tage gesehen hatte. Sie hatte zwar gelernt, mit der Bockflinte umzugehen, die sie nun bei sich trug, aber wirklich einsetzen musste sie die Waffe noch nicht. Ihr Atem ging schwer, als sie Richtung Haus davonstürzte, dem hellen Bimmeln der Alarmglocke folgend, die dort noch haltlos geschlagen wurde.
»Habt ihr Isa gesehen?« stieß sie außer Atem hervor, als sie an der Veranda ankam, auf der Fico wild an der Glockenschnur zog, während Audrey die Umgebung sicherte.
»Nein,« rief diese über den Lärm den ihr Nebenmann so verursachte hinweg, »wir waren noch auf unseren Zimmern.«
Lucis Gedanken überschlugen sich fast, als sie ohne ein weiteres Wort an ihnen vorbeistürzte, nur um sich dann doch zu besinnen: »Nils und George sind hinter dem Stall und denken im Wald bewegt sich was, Richtung Osten.« rief sie noch nach hinten, ehe sie schon die Treppen nach oben nahm. Normalerweise war sie nicht so unsportlich, doch in letzter Zeit ermüdeten sie schon kleine Anstrengungen enorm. Eine Hand an ihren Bauch legend stieß sie keuchend die Tür zu dem kleinen Gemeinschaftsraum auf, in dem Ishmael normalerweise schlief. Sie mochte den Jungen, auch wenn er ein wenig verschroben wirkte. Aber keiner wusste so genau, was er erlebt hatte, bevor er herkam. Keiner außer Patty, der er sich wohl anvertraut haben musste, kurz bevor sie starb. Es war ein trüber Tag gewesen, ähnlich wie dieser, von Nebel und Ungemach beseelt. Dennoch hatte keiner von ihnen erwartet, die alte Farmersfrau nicht wieder zu sehen, als sie gegen Mittag aufbrach, auf den hinteren Weiden nach dem Rechten zu sehen. Das Risiko, einem Angriff der Strider ausgesetzt zu werden, schien gering, denn der Nebel hielt sich über dem abgegrasten, kurzhalmigen Flächen nicht annähernd so gut, wie zwischen den alten Bäumen des sie umgebenden Waldes. Ohne Waldpassagen zu durchqueren konnte man jedoch nicht zu ihrer Farm gelangen, und dies hielt auch die Raider fern, an solchen Tagen. Niemand ging dann freiwillig in den Wald, oder auch nur dessen Nähe. Selbst Patty hatte dies nicht getan, sondern wurde mitten auf der Weidefläche gefunden. Herzinfarkt, wie sie vermuteten. Es gab jedenfalls keine Spuren irgendwelcher Gewalteinwirkung, sei es nun durch die Waffen der Menschen oder fiesen Beisswerkzeuge der Strider, die mühelos durch Haut dringen konnten, dabei Verwüstung hinterlassend.
Sie stöhnte leise auf, als sie den Raum, in dem ein paar improvisierte Betten standen von denen nur eines belegt war, erreichte. Er war leer und die Matratze von Ishmaels Liegestatt kalt, als sie die Hand darauflegte. Unwillkürlich sank sie auf das weiße Laken, ihrem Schwindel für einen Moment nachgebend. Was machte Isa nur da draußen? Zwar war er noch ein paar Jährchen vom Erwachsensein entfernt, aber schon alt genug, um genau zu verstehen, welche Gefahren dort draußen lauerten. Und wo sollte er sonst sein? Er war weder an der einen, noch an der anderen Sammelstelle erschienen. Er kannte die Regeln: Wenn geläutet wurde, fand man sich bei der nächsten Glocke ein, bewaffnet mit was auch immer man zur Hand hatte. Und damit dieses “was auch immer” effektiv war, hatten sie die Waffen in Haus und im Stall verteilt. Der Junge wusste, wie man schießt, das hatten sie ihm gezeigt – so wie es auch ihr gezeigt wurde.
»Das wird schon werden, nur nicht weiter aufregen.« Die junge Frau wisperte, sich selbst Mut machend, und strich mit dem Daumen leicht über ihr kleines Bäuchlein, in der vagen Hoffnung dies würde helfen. Doch ihr Instinkt verriet ihr, dass gar nichts mehr helfen würde, wenn sie nun weiter wie ein aufgescheuchtes Huhn herumrannte.
»AUDREY!« brüllte sie daher runter, als sich ihr Atem wieder halbwegs beruhigt hatte, »sag’ den anderen, dass der Junge schon eine Weile fort sein muss!«