
DFiN – Nils‘ Flucht
15/11/2020
DFiN – Widerstand
10/12/2020Er erstarrte. Die leichte Brise trug das Läuten der Alarmglocken von der Farm bis zu ihm hinüber. Instinktiv presste sich der Junge mit dem Rücken an den Zaun und machte sich kleiner. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, in die unheilige Litanei einstimmend, die zu ihm hinüberdrang und seine Ohren klingeln ließ.
Die Bäume waren längst zu unförmigen Kleksen zerlaufen, in der trüben trägen Masse, die um ihn herum waberte, als wolle sie die ganze Welt verschlucken. Nur der Zaun bot ihm noch Halt. Nass und kalt bohrte er seine Unebenheiten in das flache Fleisch, das schwer an ihn gedrückt innehielt, und versuchte, in dem nebligen Dunst etwas zu erkennen, der ihn umhüllte.
Das Wummern seines eigenen Herzschlages übertönte das Alarmläuten schon fast, als er es zumindest endlich schaffte, wieder nach Luft zu schnappen. Kalt füllte sie seine Lungen bis zum Anschlag und entwich dann leise pfeifend wieder, als er mit geweiteten Augen auf einen der unruhig umrissenen Baumstämme starrte, der sich auf seiner Seite des Zaunes befand. Es konnten nicht viele Bäume sein, die auf seiner Seite standen. Und dies bedeutete, dass der wilde Teil des Tals hinter ihm liegen musste, während die Farm vor ihm lag – irgendwo verborgen, in der milchig-weißen Einöde vor ihm.
Verzweifelt versuchte er etwas zu erkennen, seinen Blick langsam den dunklen, knorrigen Stamm empor wandern lassend. Sein Atem kondensierte leicht, doch ihm war unbeschreiblich heiß. Erinnerungen überfluteten ihn, als sein Körper Adrenalin und Noradrenalin freigab, die Frequenz seines Herzschlages nun beschleunigend. Erneut verfrachteten ihn seine Gedanken zurück auf die Landstraße, auf der er seine Eltern verloren hatte. Zurück zu dem Jeep, dessen Türen sperrangelweit offenstanden, als er liegen blieb. Und zurück zu den Schatten, die an Bäumen und zwischen Gehölz herumkrochen, bevor sie zum Angriff ansetzten.
Die Augen des Jungen zuckten haltlos von einem dunklen Stamm zum nächsten knorrigen Negativ eines Baumes, der unter anderen Bedingungen wohl so harmlos gewirkt hätte, wie eh und jeh. Aber hier, in diesem Nebel der das Licht verschluckte, konnte jeder von ihnen bereits bevölkert sein. Angestrengt versuchte er etwas zu hören, aber sein eigener rasender Puls, der sein Blut zum Rauschen brachte, verhinderte dass er neben dem Geläut der Alarmglocken noch viel wahrnehmen konnte. Beides hielt aber seine Fantasie nicht davon ab, die schabenden, leisen Schritte zu vernehmen, die von den Stridern verursacht wurden, wenn ihre vielbeinigen Leiber über Rinde und Blattwerk krabbelten.
Er keuchte auf und presste eine Hand an seinen Mund, die andere an sein Herz.
Sie würden ihn hören, wenn er jetzt schrie.